Auswanderer, eine Million Schweden wandern aus

Das 19. Jahrhundert war für Schweden nicht nur die Industrialisierung und das Zeitalter der Stiftungen, sondern wurde auch von einer bedeutenden Auswandererwelle geprägt. Zwischen 1840 und 1910 wanderten rund 1,4 Millionen Schweden nach Amerika aus, eine Quote, die kaum ein anderes Land Europas erreichte. Da all diese Auswanderer von Göteborg aus ihre Reise antreten mussten, ist es verständlich, dass sich dies bedeutend auf die Entwicklung Göteborgs auswirkte.

Auswandererboot in Göteborg

Es gab sehr verschiedene Gründe, warum so viele Schweden ihr Glück im fernen Amerika versuchen wollten, da das einfachere Volk damals nicht nur von Hunger bedroht war, sondern auch unter einem starken sozialen und politischen Druck leiden musste und für viele das Auswandern die einzige Lösung war ihre Freiheit zu erlangen.
 
Dies bedeutete jedoch nicht, dass Auswandern so einfach war, denn zum einen musste man die Reise bezahlen, zum anderen benötigte man auch eine Genehmigung des Priesters. Auswandern konnte daher nur eine kleine Schicht, nämlich jene Bewohner, die durch den Verkauf ihres winzigen Hofes oder anderer Gegenstände eine gewisse Summe aufbringen konnte - und jene, die keine Probleme mit ihrem Priester hatten.
 
Da die Hauptauswandererwelle zwischen 1850 und 1900 stattfand, kann man davon ausgehen, dass in diesen 50 Jahren über eine Million Schweden nach Göteborg kamen, wo sie sich teilweise mehrere Wochen aufhalten mussten bevor ihre Papiere klar waren oder das nächste Boot nach Deutschland oder England auslief, von wo aus die Reise dann über den Atlantik führte.
 
Jedes Jahr hielten sich zwischen 15.000 und 30.000 Fremde in der Stadt auf, die hier übernachten und essen mussten, aber auch alles kaufen mussten, was sie während der Überfahrt und zum Neustart in Amerika benötigten. Die Not dieser Schweden brachte daher Göteborg als einziger Stadt Schwedens einen gewissen Aufschwung. Die Stadt der Auswanderer hatte daher kaum eigene Auswanderer.
 
In Göteborg entstanden zahlreiche Auswandereragenturen, die für die Papiere der Auswanderer zuständig waren und zusätzlich Werber bezahlten, die Auswanderer in ganz Schweden anheuern sollten. Eisenhändler mit landwirtschaftlichen Geräten hatten Hochkonjunktur, Reedereien dehnten ihre Aktivitäten aus, was dem Schiffbau in Göteborg zu Gute kam und jedes kleinste Hotel war das ganze Jahr über ausgebucht. Selbst Privatpersonen, die nur das kleinste Zimmer zur Verfügung hatten, brachten dort, gegen Bezahlung, bis zu 10 Personen unter.
 
Da die schwedischen Auswanderer aus einfachen Verhältnissen und überwiegend aus kleinen Ansiedlungen kamen, waren sie entsprechend naiv und wenig an das städtischen Leben gewöhnt. Dies zog natürlich auch jede Art von Dieben und Bauernfänger an, denen es oft gelang den Auswanderern ihre einzige Habe abzunehmen und ihnen den Traum von Amerika zerstörte. So mancher musste sich nach einer Betrügerei oder einem Diebstahl in der Göteborger Industrie verdingen.
 
Auch die Prostitution wurde ein wahres Problem für Göteborg, wobei es sich hier nicht nur um schwedische Frauen handelte, sondern auch viele in anderen Ländern angeheuert wurden. Da weitaus mehr Männer als Frauen nach Amerika auswanderten, gab es hier eine leichte Beute, die zudem Geld besaß, was sowohl private als auch organisierte Prostitution zu einer Goldquelle machte. Einige Prostituierten verdienten sich im Göteborg jener Tage einen eigenen Fahrschein nach Amerika.
 
Erst als sich das politische System und die Wehrpflicht Schwedens zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderten und auch die Kirche etwas entmachtet wurde, ging die Welle der Auswanderer seiner Neige zu und die Zahlen wurden rückläufig. Aber auch die Gesetzesänderungen Amerikas machten das Einwandern schwieriger, denn während die Emigranten im Jahre 1850 noch kostenlose Erde in unbegrenzter Menge bekamen, mussten sich Einwanderer des 20. Jahrhunderts den Grund kaufen und hatten auch nicht mehr die freie Wahl des Aufenthaltsortes.